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Eine analytische Studie über Schumanns Liederzyklus Frauenliebe und -Leben op.42

Tomoo Shiraishi

Referat im Hauptseminar "Die Lieder von Schumann, Brahms und Wolf"
(Universitätsprofessor Dr. Wolfgang Ruf),
Sommersemester 1992 Musikwissenschaft, Universtät Maiz.


Inhalt

0. Einleitung

Der folgende Aufsatz ist die Analyse des sechsten und des achten Liedes aus Schumanns Liederzyklus Frauenliebe und -Leben nach den Gedichten von Chamisso. Aber zuerst werden die zyklischen Beziehungen zwischen den acht Liedern darstellt: Erstens weil Schumanns Vertonung als eines der seltenen Beispiele für den Liederzyklus "im engeren Sinne" (Wiora) gilt (s. Anmerkung 3), und zweitens weil einige zyklische Elemente auch bei der Interpretation der einzelnen Lieder bedeutungsvoll sind (z.B. s. Anmerkung 9 und 13).

Um nicht nur die Vertonung von Schumann, sondern auch Chamissos Gedicht (und seinen Gedichtzyklus im ganzen) als ein selbständiges Kunstwerk zu behandeln, geht die Analyse des Gedichtes (und des Gedichtzyklus) jeweils derjenigen der Vertonung voran (1.1., 2.1.1. und 2.2.1.).

Die Hauptaufgabe meiner Analyse ist es, verschiedene Momente, die jedes Lied formal und inhaltlich als Einheit in dem Sinne von einem Werk zu konstruieren, möglichst ausführlich zu zeigen. Aber einige Ergebnisse von meiner Analyse würden Materialien zur Diskussion über verschiedene Fragen geben: z.B. über das Neue im Schumanns Harmonik (2.1.2.4.), über die musikalische Symbolik und die inhaltlichen Konnotationen der musikalischen Figuren bei Schumann (1.2.2. und 2.1.3.2.), über die Veränderung vom Konzept bei der Vertonung im Vergleich mit demjenigen des Gedichtes (1.2. und 2.1.3.1.), über die kompositorisch technischen und die ästhetischen Beziehungen zwischen dem lyrischen Klavierstück und dem Lied bei Schumann (1.2.2., besonders Anmerkung 5 und 2.2.2.5.) usw..

1. Voraussetzungen

1.1. Chamissos Liederzyklus Frauenliebe und -Leben

Adelbert von Chamisso (1781-1836), der heute hauptsächlich als Autor der Novelle Peter Schlemihl's wundersame Geschichte bekannt ist, galt bei den Zeitgenossen als einer der populärsten Lyriker. Peter A. Kroner schreibt: "Als der Ausdruck der bürgerlichen Gefühlswelt wurden die Gedichte von den Zeitgenossen begeistert aufgenommen und aus Mangel an richtigen Perspektiven oft überschätzt" (Kroner 1983: S.445).

Als der Erbe französischer Adeliger geboren und nach der Revolution nach Deutschland emigriert, lernte Chamisso in Berlin viele Romantiker, wie E. T. A. Hoffmann, A. W. Schlegel usw., kennen und wurde von ihnen literarisch beeinflußt. Den heutigen Germanisten gilt Chamisso eher als realistisch als romantisch. "Es gibt bei Chamisso keine innere romantische Progression in seinem lyrischen Schaffen. Es ist mehr ein statisches Erleiden, ein dauerndes Kristallisieren um den ureignenen Wesenskern, ein ständiges Sich-Bereichern von außen her" (Kroner 1983: S.445).

Chamissos Liederzyklus Frauenliebe und -Leben (1831) gehört zu dem alltäglichen Erlebnisgedicht, das für ihn neben dem politischen Gedicht, der Ballade und dem Naturgedicht eine der wichtigsten Gattungen war. Der Zyklus besteht aus den neun Gedichten, die ohne Untertitel einfach von 1. bis 9. numeriert sind. Die neun Gedichte stellen die Ereignisse in der Liebe und dem Leben einer Frau dar:

1. "Seit ich ihn gesehen".

Erwachen des Mädchens zur liebenden Frau.

2. "Er, der herrlichste von allen".

Verliebtheit und weibliche Bescheidung.

3. "Ich kann's nicht fassen, nicht glauben".

Verwunderung darüber, die Erwählte zu sein.

4. "Du Ring an meinem Finger".

Stimmung beim Anblick des Verlobungsringes.

5. "Helft mir, ihr Schwestern".

Freude bei der Hochzeitsfeier.

6. "Süßer Freund, du blickest".

Empfindungen während der Schwangerschaft.

7. "An meinem Herzen, an meiner Brust".

Mutterfreuden.

8. "Nun hast du mir den ersten Schmerz getan".

Die Trauer der Witwe.

9. "Traum der eignen Tage".

Mahnung der Greisin zur Tochters Liebe.

In den neun Gedichten wird das allgemeine Bild der Frau geschildert. Nicht nur das Bild von der Frau, deren Hingabe an den geliebten Mann auch ihr "Leben" ist, sondern auch der Auswahl vom Thema jedes Gedichts, das Erwecken der Liebe, Verlobung, Hochzeit usw., wäre gleichsam stereotypisch. Die Frau erlebt nichts Individuelles. Alles, was sie in jedem Gedicht sagt, ist jeweils nur die Variierung desselben Gefühls, das sie bei jedem Ereignis in ihrer Liebe und ihrem Leben passiv erfährt(1). Das würde auch dem oben zitierten Urteil über Chamissos Gedichte entsprechen: "ein statisches Erleiden", "ein dauerndes Kristallisieren um den ureignen Wesenskern".

Der Zyklus endet damit, daß die Tochter, die neue Generation, im letzten Gedicht die erste Liebe erlebt, wie ihre Mutter im ersten Gedicht. Die neun Lieder bilden also inhaltlich den Zyklus der Liebe und des Lebens der Frauen von einer Generation zu der anderen.

1.2. Die zyklischen Momente bei Schumanns Vertonung

Schumann vertonte im Juli 1840 Chamissos Liederzyklus (2). Dabei änderte er das zyklische Konzept, indem er das neunte Gedicht nicht vertonte. Die acht Lieder sind durch verschiedene musikalisch formale Momente zusammengefaßt (3).

1.2.1. Der tonale Plan des Zyklus

Die acht Lieder bilden tonal zwei Gruppen: die erste Gruppe vom ersten bis zum fünften Lied, die zweite Gruppe vom sechsten bis zum achten Lied.

1 2 3 4 56 7 8
(B Esc EsB)(GD d)

Die erste Gruppe ist tonal symmetrisch: B-dur, die Tonart des Anfangsliedes, kehrt beim fünften Lied wieder. In der Mitte steht ihre Subdominant-Moll-Parallel c-moll, die von der Anfangstonart B-dur (das erste Lied) über Es-dur (das zweite Lied) erreicht wird und wieder über Es-dur (das vierte Lied) zu B-dur (das fünfte Lied) zurückkehrt.

1 2 3 4 5
B Esc EsB

Der tonale Plan entspricht auch dem Inhalt der Gedichte. Die Rückkehr zur Haupttonart B-dur bei dem fünften Lied ist der musikalische Ausdruck von der Hochzeit, der Vollendung der Liebe. Im dritten, dem einzigen Moll-Lied ist die Schwankung des Herzens gesungen, die in den ersten fünf Liedern auch inhaltlich die Rolle von Kontrast spielt.

Anders als bei der ersten ist die zweite Gruppe tonal nicht symmetrisch. Durch die enge Verwandtschaft zwischen den je zwei nebeneinandergelegten Liedern sind die drei letzten Lieder miteinander verbunden. Das siebte Lied steht auf der um eine Quint höheren Tonart (D-dur) als die vom sechsten (G-dur). Die Tonart des achten Liedes (d-moll) ist die Moll-Variante des vorangehenden Liedes (D-dur). Die Quintbeziehung und die Dur-Moll-Variierung erscheint dem Hörer als die enge Beziehung, nachdem er von dem fünften auf das sechste Lied den mediantischen Tonartwechsel von B-dur zu G-dur erfahren hat.

1 2 3 4 56 7 8
(B Esc EsB)/(GD d)

Wie bei der ersten Gruppe, entspricht der tonale Plan der zweiten Gruppe auch dem Inhalt der Gedichte. Der neue Anfang mit der Mediante (G-dur) entspricht der Geburt des Kindes, des neuen Lebens, der Quintschritt zur gekreuzten Tonart (von G-dur zu D-dur) der Entwicklung des neuen Lebens und die plötzliche Wendung zur Mollvariante dem Tod des Mannes.

Die zweite tonale Gruppe bezieht sich auf die erste, indem die Haupttonart der ersten Gruppe (B-dur) am Ende des achten Lied als Nachspiel wiederkehrt (ab T.24). Der Verlauf des Nachspiels im achten Lied ist sogar mit dem Klavierpart des ersten Liedes identisch. Das Anfangslied und seine Wiederkehr am Ende rahmen den ganzen Liederzyklus ein.

1 2 3 4 56 7 8
{(B Esc EsB)/(GD d)/B}

1.2.2. Das musikalische Symbol des Mannes

Der Quartsprung von der Dominante zur Tonika tritt bei diesem Liederzyklus immer wieder - meistens als der erste melodische Sprung der Singstimme jedes Liedes - auf.

Beispiel 1

Er faßt in der relativ abstrakten, "subthematischen" Ebene (4) die acht Lieder zusammen, wie "die vier Töne" a-es-c-g oder as-c-g in Carnaval, den Schumann selbst als "scenes mignonne sur quatre notes" nannte (5).

Daß der Quartsprung niemals im vierten Lied - im einzigen Lied, in dem der andere Gegenstand als der Mann das Thema ist, - auftritt, deutet indirekt an, daß dieses Intervall als das musikalische Symbol des Mannes zu verstehen ist.

Nicht nur die ständige Wiederkehr desselben Intervalls, sondern auch seine Variierungen sind im Zyklus sinnvoll. Die Erweiterung des Quartintervalls f-b zur Sext f-d am Anfang vom fünften Liedes (T.4) (6) stellt die Freude bei der Hochzeit dar. Daß das letzte Lied mit dem Quintabstieg, und zwar mit der Inversion des Quartaufstiegs, beginnt, zeigt symbolisch, daß der Mann, mit dem der Quartsprung assoziiert wurde, gestorben ist (7).

2. Die Analyse der einzelnen Lieder

2.1. Das sechste Lied,
"Süßer Freund, du blickest".

2.1.1. Das Gedicht

Süßer Freund, du blickest-
Mich verwundert an,a
Kannst es nicht begreifen,-
Wie ich weinen kann;a
Laß der feuchten Perlen-
Ungewohnte Zierb
Freudenhell erzittern-
In den Wimpern mir. b

Wie so bang mein Busen,
Wie so wonnevoll!
Wüßt' ich nur mit Worten,
Wie ich's sagen soll;
Komm und birg dein Antlitz
Hier an meiner Brust,
Will ins Ohr dir flüstern
Alle meine Lust.

Hab ob manchen Zeichen
Mutter schon gefragt,
Hat die gute Mutter
Alles mir gesagt,
Hat mich unterwiesen,
Wie, nach allem Schein,
Bald für eine Wiege
Muß gesorget sein.

Weißt du nun die Tränen,
Die ich weinen kann,
Sollst du nicht sie sehen,
Du geliebter Mann;
Bleib an meinem Herzen,
Fühle dessen Schlag,
Daß ich fest und fester
Nur dich drücken mag.

Hier an meinem Bette
Hat die Wiege Raum,
Wo sie still verberge
Meinen holden Traum;
Kommen wird der Morgen,
Wo der Traum erwacht,
Und daraus dein Bildnis
Mir entgegenlacht.

2.1.1.1. Die Metrik und der Reim

Die Strophenstruktur des sechsten Liedes ist wie die anderen Lieder im Liederzyklus regelmäßig. Alle fünf Strophen haben jeweils acht Verse, metrisch jeweils dreihebige Throchäi. Jeder ungeradzalige Vers endet weiblich, jeder geradzalige dagegen männlich mit paarreimartiger Silbenfolge aabb (z.B. in der ersten Strophe: an/ kann/ Zier/ mir). Nach den Endungen her kann man also die acht Zeilen in jeder Strophe zu (2+2)+(2+2) gruppieren.

2.1.1.2. Die Inhaltsgliederung

Die fünf Strophen sind inhaltlich in drei Teile gegliedert: 1. die erste und die zweite Strophe, 2. die dritte Strophe, 3. die vierte und die fünfte Strophe. In allen Teilen geht es um die Kundgebung der Schwangerschaft von der Frau zu ihrem Mann. Im ersten Teil konnte sie ihre Schwangerschaft dem Mann noch nicht offenbaren. Erst im zweiten Teil konnte die Frau ihm die Bedeutung ihrer "Tränen" hinweisen, indem sie ihm mitteilte, was ihre Mutter ihr gesagt hatte: "Hat mich unterwiesen,/ Wie, nach allem Schein,/ Bald für eine Wiege/ Muß gesorget sein". Im anschließenden letzten Teil äußert sie nun offen ihre Gefühle.

2.1.1.3. Die Bedeutung von "deinem Bildnis"

Das merkwürdige in der letzten Strophe ist die Übereinstimmung der Bilder vom Mann und vom geboren werdenden Kind, "Und daraus dein Bildnis/ Mir entgegenlacht". Die zwei Gegenstände der Liebe, die zu den unterschiedlichen Generationen gehören, und zwar der Mann, für den sie bis jetzt gleichsam ihr Leben higegeben hat, und das Kind, das von nun an der neue Gegenstand der mütterlichen Liebe werden soll, verbindet die Frau in ihrer imaginären Welt untrennbar miteinander.

2.1.2. Die Musik

2.1.2.1. Die formale Gliederung

Schumanns Vertonung ist dreiteilig gegliedert: der erste Teil (A) T.1-24, der zweite Teil (B) T.25-44 und der dritte Teil = die verkürzte Wiederkehr des ersten (A') T.45-58. Der A-Teil besteht aus dem barform-artigen ersten Abschnitt (a, T.1-11) - der erste Stollen T.1-4, der zweite Stollen T.5-7 und der Abgesang T.8-11 -, seiner Wiederholung (a', T.12-21) und einer Überleitung zum B-Teil (T.22-24). Der B-Teil ist in drei Abschnitten und eine Überleitung zum A'-Teil gegliedert: der erste Abschnitt (d) T.25-32, der zweite (e) T.33-38, der dritte (f) T.39-42/die erste Hälfte und die Überleitung T.42/die zweite Hälfte-44. Der A'-Teil ist die Reprise der barform-artigen drei Phrasen im A-Teil (T.45-54) mit der Koda (T.55ff.), die motivisch der Überleitung zum B-Teil entstammt.

2.1.2.2. Die Motivik

Die ersten vier Takte sind formal der Kern dieses Liedes. Verschiedene Elemente der Anfangsphrase - das Akkord-"Wachstum" zum Akkord g+d+c+d+fis+a (T.1-2 im Klavierpart), das Quartsprung-Intervall mit einem Halbtonschritt (T.2-3 in der Singstimme d-ais-/h und seine Inversion in T.4 fis-/h-a) usw. - oder ihre Varianten treten im ganzen Lied immer wieder auf.

(a) Das Akkord-"Wachstum" von den zwei Tönen d+fis über den dreitönigen zweiten Akkord cis+e+g und den viertönigen dritten c+d+fis+a bis zum ungewöhnlichen Akkord g+d+c+d+fis+a (8) treten im A- und A'-Teil als auftaktiger Einsatz am Anfang jeder Phrase immer wieder auf (T.4-5, T.7-8 usw.).

(b) Der Abgesang enthält das um eine Ganzton höher verschobene Quartsprung-Intervall (T.9 c-gis-a). Die Endung derselben Phrase (T.10-11 ais-h-g-/g-fis) ist diastematisch mit dem Mittelteil der Anfangsphrase (T.2-3 ais-/h-g-g-g-g-fis) identisch.

Beispiel 2

(c) Das scheinbar neue zweitaktige Motiv am Anfang des B-Teils (T.25-26) ist eine Variante des zweiten und dritten Takts. Das Intervall, ein Quartaufstieg, ein verminderter Quartabstieg und ein Halbtonaufstieg (g-c-gis-/a) stammt aus der Kombination der Singstimme und der Oberstimme des Klavier in T.2-3 (die Singstimme d-ais-/h + die Oberstimme des Klavierparts a-ais-/h = a-d-ais-/h) (9).

Beispiel 3

2.1.2.3. Die Harmonik

Die Harmonik dieses Liedes ist relativ instabilisiert in dem Sinne, daß die Tonika oder die Kadenzierung möglichst vermieden wird. Im A-Teil endet - anders als bei der normalen Barform - nicht nur jeder Stollen, sondern auch der Abgesang in der Dominante. Alle drei Teile im B-Teil kreisen um C-dur. Aber die Tonika ohne Umstellung wird nur zweimal (T.34 und T.36) erreicht.

2.1.2.4. Der Akkord g+d+c+d+fis+a

Der Akkord in T.2 wäre theoretisch als Quintgerüst der Tonika (g+d) mit drei Vorhalten (c, fis und a) interpretierbar. Aber dem Akkord in T.2 fehlt die Spannung, die für die Dissonanz charakteristisch ist. Er ist eher der selbständige Klang, der als Konsequenz des vorangehenden Akkord-Wachstums erreicht worden ist. Hier sind die Tonika und die Dominante miteinander verschmolzen: die funktionale Harmonik, der die Differenz zwischen der spannenden und der ruhenden Klang zugrundeliegt, ist beim Akkord g+d+c+d+fis+a momentan aufgehoben.

Wie ich schon in 2.1.2.3. erwähnt habe, charakterisiert die harmonische Instabilität den A- und A'-Teil. Aber die Vermeidung der Tonika verstärkt nicht die Erwartung auf die am Ende zu erreichende Tonika. Sie ist eher Voraussetzung für die Befreiung von der funktionalen Harmonik. Erst vor dem Hintergrund der instabilisierten funktionalen Harmonik ist ihre Aufhebung wirkungsvoll.

2.1.2.5. Der D-T-Wechsel im B-Teil

Die Harmonik des e-Abschnitts im B-Teil (T.33-38) ist der Gegenpol zu dem Akkort g+d+c+d+fis+a. Ein einziges Mal im ganzen Verlauf dieses Liedes tritt hier der D-T-Wechsel, die einfachste und deutlichste Weise der Tonika-Bestätigung, auf. Aber ironischerweise klingt die C-dur Tonika nicht realistisch aus. Nach der Erfahrung von der Aufhebung der funktionalen Harmonik erscheint sie dem Hörer gleichsam als eine längst verlorene Idylle. Tatsächlich scheitert sie, sich zu vollziehen; Nach den zweimaligen D-T-Wechseln führt die Dominante in T.37 wie ein Trugschluß zum verminderten Septakkord (T.38).

2.1.3. Das Wort und die Musik

2.1.3.1. Die Wirkung von der Elimination der dritten Strophe bei Schumanns Vertonung

Die drei Teile bei Schumanns Vertonung entsprechen nicht derjenigen von Chamisso. Der A-Teil der Vertonung entspricht Chamissos ersten zwei Strophen, und zwar dem ersten Teil Chamissos. Aber der zweite Teil, die dritte Strophe des Gedichtes, ist bei Schumann eliminiert. Im B-Teil wird die vierte Strophe gesungen und bei der Wiederkehr des A-Teils die fünfte Strophe.

Wegen der Elimination der dritten Strophe ist die Schwangerschaft dem Hörer im B-Teil noch nicht mitgeteilt worden, obwohl der Mann die Bedeutung der Tränen schon verstehen kann ("Weißt du nun die Tränen,/ Die ich weinen kann"). Erst bei der letzten Strophe, "Hier an meinem Bette/ Hat die Wiege Raum", erkennt der Hörer die Schwangerschaft. Bei Schumanns Vertonung ist der "mithörende" Hörer, den die Frau nicht direkt anredet, bis zur letzten Strophe immer gespannt, um den Grund von der Freude der Frau zu verstehen (10).

2.1.3.2. Die musikalischen Figuren als der Ausdruck des Textes

Fast alle wichtige musikalische Figuren und ihre Darstellungsweise entsprechen dem Inhalt des Textes.

(a) Der dialogiele Charakter des Textes - die Frau richtet sich in diesem Gedicht immer direkt an den Mann - wird in der Vertonung mit dem harmonischen Fragezeichen, dem Halbschluß, musikalisch ausgedrückt.

(b) Das Akkordwachstum, das im A- und A'-Teil immer wieder auftritt, ist als die musikalische Gestaltung der Vorstellung von der Geburt des neuen Lebens zu verstehen.

(c) Der Akkord g+d+c+d+fis+a erscheint zuerst als der Ausdruck des Wortes "süß", das auf diesem Akkord gesungen wird. Allerdings könnte man ihn über dieses Wort hinaus auf der von der Schwangerschaft entzückten mütterlichen Freude allgemein beziehen, weil er auch die anderen Verse, die von der Freude der Schwangerschaft sprechen, begleitet (T.5ff. "Kannst es nicht begreifen,/ Wie ich weinen kann", T.12ff. "Wie so bang mein Busen,/ Wie so wonnevoll", T.15ff. "Wüßt' ich nur mit Worten,/ Wie ich's sagen soll" usw.).

(d) Der relativ dynamische Charakter des Abgesangs (das Erreichen des Spitzton e nach der rhythmischen Verkürzung des Motivs von -------- in T.8 bis ------ in T.9 in der Singstimme, die spannende Dehnung der Doppeldominante in T.10-11 nach der Beschleunigung des harmonischen Rhythmus vom Halbe-Abstand in T.8 zum Viertel-Abstand in T.9 und der Aufstieg des Basses im Klavierpart von g in T.8 bis e in T.10-11) entspricht dem neuen Verb "zittern", das die Bewegung und die innere Aufregung hinweist.

(e) Die Achtelrepetetion im B-Teil ist der Ausdruck des Herzenschlags, den die Frau ihrem Mann zu "fühlen" versucht.

2.1.3.3. Der Schluß des Liedes

Der Verlauf ab T.55 erscheint als Nachspiel. Weil das ganze Gedicht schon gesungen wurde, erwartet der Hörer ein Nachspiel mit dem Klavier. Tatsächlich führt das Klavier zur Kadenz auf der Haupttonart G-dur. Aber im Augenblick, da die Tonika erreicht wird, setzt die Singstimme plötzlich wieder ein und sie singt nochmal die Worte des letzten Verses, "dein Bildnis" (T.58). Das Intervall der letzten Phrase fis-/a-g ist eine neue Variante der Endung des letzten Abgesangs (T.54 fis-/h-a-a), die selbst eine Variante des Anfangsintervalls d-ais-h, und zwar seine Inversion, ist. Am Ende des Liedes beziehen sich die Worte, die die Vorstellung des Mannes mit derjenigen des Kindes verbinden (s.2.1.1.3.), auch auf das Kern-Intervall.

Beispiel 4

2.2. Das achte Lied,
"Nun hast du mir den ersten Schmerz getan".

2.2.1. Das Gedicht

Nun hast du mir den ersten Schmerz getan,
Der aber traf.
Du schläfst, du harter, unbarmherz'ger Mann,
Den Todesschlaf.

Es blicket die Verlaß'ne vor sich hin,
Die Welt ist leer.
Geliebet hab ich und gelebt,
ich bin Nicht lebend mehr.

Ich zieh mich in mein Innres still zurück,
Der Schleier fällt,
Da hab ich dich und mein vergangnes Glück,
Du meine Welt!

2.2.1.1, Die Metrik und der Reim

Das achte Gedicht Chamissos besteht aus drei Strophen. Jede Strophe hat vier Verse, die männlich enden und Kreuzreim abab bilden. Alle ungeradzalige Verse sind fünfhebige Jamben, alle geradzalige dagegen prinzipiell zweihebige Jamben: "Prinzipiell", weil der erste und der letzte ungeradzalige Vers jeweils mit einer Hebung statt einer Senkung beginnen (der zweite Vers der ersten Strophe "Der Aber...", der letzte Vers der letzten Strophe "Du meiner...").

2.2.1.2. Die Inhaltsgliederung

In der ersten Strophe redet die Frau ihren gestorbenen Mann mit dem Du an. Die zweite Strophe dagegen ist ein Monolog über sich selbst und die Welt um sie herum. In der ersten Hälfte der letzten Strophe dauert der Monolog weiter, und die Frau richtet sich am Ende des Gedichtes wieder an ihren Mann ("Du meine Welt!").

2.2.1.3. Das "Ich" und die "Verlaß'ne"

In diesem Gedicht wird der Verlust der Selbstidentität dargestellt. Am Anfang der zweiten Strophe nennt die Frau sich selbst als "die Verlaß'ne", als ob es um eine dritte Person gehen würde. Wegen des Todes des Mannes trennt sie das sprechende "Ich", das Selbstbewußtsein, vom gesprochenen Ich, gleichsam ihr Dasein in der Welt, das sie für die Liebe und das Leben ihres Mannes higegeben hat. Die Identität mit dem Dasein geht verloren, das "Ich"-Bewußtsein sieht das gesprochene Ich von außen, von außerhalb der Welt.

Nachdem der Blick des "Ich"-Bewußtseins auf sein Dasein, das entsetzt vor sich hinblickt (der erste Vers der zweiten Strophe), und auf die leere Welt (der zweite Vers) gerichtet wird, erwähnt das "Ich" über sich selbst: "Ich bin nicht lebend mehr": Das "Ich"-Bewußtsein kann in der Welt keinen Platz mehr für sich finden, als ob es schon gestorben wäre. Der einzige Ort, wo das "Ich" sich beruhigen kann, ist, wie in den anschließenden Versen gesagt werden soll, seine Innere Welt, wo das "Ich" den Mann und das "vergangene Glück" hat.

2.2.2. Die Vertonung (11)

2.2.2.1. Die tonale Anlage

Schumanns Vertonung dieses Gedichtes ist nach der tonalen Anlage nach in drei Teile mit dem Nachspiel gegliedert:

A-Teil, T.1-7/die erste Hälfte, d-moll B-Teil, T.7/die zweite Hälfte-15/die erste Hälfte, g-moll/b-moll/f-moll/c-moll C-Teil, T.15/die zweite Hälfte-22, d-moll (12) Nachspiel, T.23-43, B-dur

2.2.2.2. Die Gliederung der Singstimme

Jeder Teil der Vertonung von Schumann entspricht jeder Strophe des Gedichtes von Chamisso und jeder Phrase der Singstimme - außer den letzten zwei Versen der zweiten Strophe - jedem Vers. Das Enjambement von dem dritten auf den vierten Vers der zweiten Strophe, "Geliebet hab' ich und gelebt, ich bin/ Nicht lebend mehr", wird in der Vertonung nicht reflektiert. Diese beiden Verse sind nach ihrer grammatischen Satzstruktur in zwei Sätze, "Geliebet hab' ich und gelebt" und "Ich bin nicht lebend mehr" gegliedert, und jeder Satz ist als eine Phrase vertont (T.12-13 und T.14-15). Das Gliederung der Singstimme kann also in folgender Weise zusammengefaßt werden:

A-Teil
T.2-7 = die erste Strophe
T.2-3/die erste Hälfte = der erste Vers
T.3/die zweite Hälfte-4 = der zweite Vers
T.5-6/die erste Hälfte = der dritte Vers
T.6/die zweite Hälfte-7 = der vierte Vers

B-Teil
T.8-15 = die zweite Strophe
T.8-9 = der erste Vers
T.10-11 = der zweite Vers
T.12-13 = die erste Hälfte des dritten Verses
T.14-15 = die zweite Hälfte des dritten Verses und der vierte Vers

C-Teil
T.16-22 = die dritte Strophe
T.16-17 = der erste Vers
T.18-19 = der zweite Vers
T.20-21/die erste Hälfte = der dritte Vers
T.21/die zweite Hälfte-22 = der vierte Vers

Dabei sind jeweils zwei Phrasen durch verschiedenen kompositorischen Techniken miteinander verbunden.

(a) Das Ende der ersten Phrase und der Anfang der zweiten haben die gemeinsame Tonhöhe f (T.3).

(b) Nicht nur die siebte (T.12-13) und die sechste (T.14-15) Phrase, sondern auch die fünfte (T.8-9) und die sechste (T.10-11) bilden je eine Art Periode, und zwar die Korrespondenz zwischen der Frage mit Leitton-Endung und der Antwort mit Tonika-Endung. Die fünfte (g-moll) und die sechste Phrase (von b-moll nach f-moll modulierend) stehen zwar nicht auf derselben Tonart, und die Erfüllung der Tonika scheitert am Ende des Nachsatzes trugschlüßig (T.11). Aber die Notierung der Endung der fünften Phrase in der Singstimme (T.9 fis statt ges) zeigt eindeutig, daß es hier um einen dominantischen Halbschluß in g-moll geht.

(c) Die ersten zwei Phrase im C-Teil beziehen sich motivisch aufeinander: über die Zäsur der Phrase hinaus dauert das punktierte Achtelmotiv -------- von der letzten Hälfte des sechzehnten Takts bis zum siebzehnten Takt in der Singstimme.

(d) Das Ende der vorletzten Phrase und der Anfang der letzten haben, wie bei den ersten zwei Phrasen, eine gemeinsame Tonhöhe, diesmal cis (T.21).

2.2.2.3. Die Motivik

Beispiel 5

Die zweite und die vierte Phrase im A-Teil haben dasselbe Motiv, das mit dem Rhythmus ---------- schrittweise um eine kleine Terz aufsteigt (T.3-4 und T.7-8 f-g-a). Es kehrt im C-Teil wieder (T.21-22 cis-d-e). Genauer gesagt, tritt zuerst die kleine Terz, die das diastematische Merkmal des oben erwähnten Motivs war, am Anfang des C-Teils als das diastematische Gerüst der Singstimme wieder auf (T.16-17 cis-d-/e). Die zweite Phrase des C-Teils zeigt dasselbe Intervall mit dem punktierten Halbenotenrhythmus ---------- (T.18-19), das mit dem "auskomponierten Ritardando" von ------ (T.16/die erste Hälfte) über -------- (T.16/die zweite Hälfte-17) erreicht wird. Nach solcher Vorbereitung kehrt der kleine Terzaufstieg mit dem eigentlichen Rhythmus ---------- in T.21-22 wieder.

Der punktierte Halbenotenrhythmus, der in T.18-19 mit dem kleinen Terzaufstieg verbunden war, erklingt weiter ab T.19 im Klavierpart (T.19 in der Mittelstimme der rechten Hand und dem Baß, T.20 im Baß in einer variierten Gestalt, T.21 in der rechten Hand). Die letzte Version des Motivs, die den Terzaufstieg der Singstimme mit dem Abstieg ergänzt, wäre gleichzeitig die rhythmisch doppelte augmentierte Variante (von ---------- zu --------- ) der Baßformel in T.3-4 und T.6-7, die gleichfalls dem Aufstieg der Singstimme mit dem Abstieg ergänzt hat.

2.2.2.4. Die rezitativische Melodik

Die rezitativische Melodik charakterisiert den Verlauf der Singstimme in diesem Lied. Jede Silbe wird in der Regel mit derselben Tondauer, mit einem Achtel, gesungen. Weit springende Intervalle sind selten: das weiteste in diesem Lied ist der Quartabstieg (T.1-2 und T.5, der die Inversion des den Mann symbolisierenden Quartaufstiegmotivs darstellt - s.1.2.2.(13). Das zweite weiteste Intervall, der Quartabstieg, tritt nur einmal in T.14 auf. Es gibt keine große Terz und nur vier kleine (einmal in T.9-10 b-des, dreimal in T.20-21 e-g, g-e und e-cis). Übrigens bewegt sich die Singstimme immer schrittweise oder bleibt in demselben Ton, bis die Harmonie sich ändert.

Bei solchem "rezitativo" unterstreichen die längeren Noten als Achtel und die relativ höheren oder tieferen Töne die mit dem betreffenden Ton gesungenen Silben. Die Betonung des Worts "Todes" in der vierten Phrase mit der längsten Note im A-Teil (mit einem punktierten Viertel) entspricht dem Sachverhaltnis, daß der Tod des Mannes im Gedicht das Thema des Monologs von der Frau ist. Im B-Teil sind einige wichtige Wörter "leer", "geliebet" und "lebend" mit der Verlängerung der Tondauer betont.

2.2.2.5. Das Balance zwischen dem Hauptteil des Liedes und dem Nachspiel

Es scheint möglich, den Verlauf ab T.23 als ein Nachspiel zu bezeichnen. Aber nicht übersehbar ist, daß es viel größeres Gewicht als das Nachspiel im üblichen Sinne hat. Erstens ist es ungewöhnlich lang (21 Takte gegen 22, und zwar hat es fast dieselbe Länge wie der Hauptteil des Liedes). Zweitens liegen die ganz anderen musikalischen Materiallien dem Nachspiel zugrunde: die andere Tonart (B-dur statt d-moll), das andere Tempo (Allegretto statt Adagio), der andere Takt (3/4 statt 4/4), der andere Charakter (die liedhafte, relativ naive Melodik statt der rezitativischen und expressiven), der Sarabande-Rhythmus -------- (T.24, T.25 usw.). Und drittens ist das Nachspiel formal und harmonisch fester gebildet, als der Hauptteil. Das Nachspiel bildet eindeutig eine Art Barform - der erste Stollen T.24-27, der zweite Stollen T.28-30 und der Abgesang T.31-40 (der letzte Takt ist mit dem Beginn der Koda verschränkt) - mit einer Koda (T.40-43), während die Beziehung zwischen den drei Teilen des Hauptteils locker ist. B-dur wird am Anfang des Nachspiels (T.24-25) durch Kadenzierung eindeutig aufgestellt und am Ende (ab T.37) wieder mit einer Kadenzierung bestätigt, während im Hauptteil die Kadenzierung, die zur Tonika auf ihrer Haupttonart d-moll führt, kaum nicht gefunden werden kann.

In dem Sinne, daß eine formal und harmonisch fest gebildete Einheit nach einem ohne die vollendende Kadenzierung mit der Dominante endenden, formal locker bleibenden Verlauf kommt, erscheint es, als würde eine Einleitung auf d-moll einem Hauptteil auf B-dur vorangehen. Aber dem B-dur-Teil fehlt das Wort. Das letzte Stück des Liederzyklus beginnt mit einer "rezitativischen Einleitung" und endet mit einem "Lied ohne Wort" (14). Die Frau, die die Ruhe nicht in der Realität, über die sie rezitativisch gesungen hat, finden konnte, beruhigt sich in dem "Inneren", wo die Erinnerungen der Liebe und des Lebens ohne Wort erklingen (15).


Anmerkungen

1. Dietrich Fischer-Dieskau weist darauf hin, daß solche weibliche Hingabe an den geliebten Mann auch im 19. Jahrhundert nicht immer akzeptiert wurde. Theodor Storm hat - nach Fischer-Dieskau - 1874 an Paul Heyse geschrieben: "Mörike sagte einstmals zu mir: das ist mir sehr zuwider - das ist auch meine Empfindung" (Fischer-Dieskau 1985: S.136).

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2. In Schumanns Haushaltbücher steht: "Juli 1840 ...... 11...Nachmittag 5 Ged.(chte) v. Chamisso ...... 16...Nachmittag 2 Ged.(chte) v. Chamisso" (Nauhaus 1982: S.165f.)

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3. "Merkwürdigerweise haben nur wenige Komponisten diese Formidee eines Liederzyklus im engeren Sinne der Rundung und Geschlossenheit, der dem ursprünglichen Wortsinn von Zyklus entspricht, weiterverfolgt. Zu den Ausnahmen gehört Schumanns Liederkreis 'FrauenLiebe und -Leben'" (Wiora 1971: S.61).

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4. Über den Begriff Subthematik, s. Dahlhaus 1987, S.245ff. ("Subthematik") und S.279ff. ("Kantabilität und motivische Arbeit").

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5. Ähnliche "Subthematik" ist auch bei einigen anderen zyklischen Werken von Schumann nachzuweisen: z.B. der Sext- oder Quartsprung mit dem schrittweisen Abstieg in Kinderszenen op.15 (1. Von fremden Ländern und Menschen T.1-2 h-g-/fis-e-d, 2. Kuriose Geschichte T.1 fis-/h-a-g-fis-g usw.).

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6. Trotz der Erweiterung des Intervalls ist die Beziehung des Anfangs vom fünften Lied zu demjenigen des ersten genug hörbar. Weil am Anfang des fünften Liedes nicht nur der aufwärts Sprung selbst sondern auch die melodische Schweiferung zwischen f und g, die im ersten Lied dem Sprung vorangeht, wiederkehren.

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7. Nach Kahlheinz Schlager hat das Quartfall-Motiv im rezitativisch gesungenen "Adagio"-Lied - bei Schumann ist das italienische Vortragszeichen überhaupt selten - einen bestimmten Inhalt. Schlager versucht seine Interpretation mit dem Beispiel vom Eichendorff-Lied, "Auf einer Burg", darzustellen: "Da dieses ruhende Motiv den Liedanfang und weiter vier Zeilenanfänge bildet, steht vom ersten Takt an fest, daß dieses Lied in sich selbst gefesselt und erstarrt ist: 'Eingeschlafen...und versteinert' sind die Worte des Gedichtes, die zu diesem Motiv gesungen werden und ihm Inhalt und Deutung geben" (Schlager 1976: S.124).

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8. Indem die höchsten Töne der Akkorde von fis bis a immer höher werden und die tiefsten Töne chromatisch von d bis c absteigen, ist der Eindruck des Wachsens deutlich.

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9. Das Intervall der Singstimme am Anfang des B-Teils ist gleichzeitig eine neue Version des Quartsprungs, das den Mann symbolisiert (s. 1.2.2.). Daß der Quartsprung erst im B-Teil explizit erscheint, würde dem Sachverhaltnis entsprechen, daß die Frau erst nach dem A-Teil ihrem Mann ihre Schwangerschaft mitteilen konnte.

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10. Carl Dahlhaus formliert den Unterschied der "Darstellungsweise" zwischen dem Lied, der Arie und der Ballade: "In einem Lied oder einer lyrischen Monodie ist es einerseits, im Gegensatz zur Arie, der Autor selbst, der redet, wenn auch nicht als empirische Person, sondern als die intelligible, die man 'lyrisches Ich' genannt hat. Und andererseits ist ein Lied eine Äußerung, die sich, im Unterschied zu einer gesungenen Erzählung, nicht an ein Publikum richtet, sondern vom Publikum gleichsam nur mitgehört wird. Die Zuhörer, bei der Ballade essentiell, sind beim Lied akzidentell" (Dahlhaus 1973: S.851). Daß sich das "lylische Ich" nicht direkt am Publikum richtet, ist beim sechsten Lied des Frauenliebe und -Leben sinnvoll. Im B-Teil weißt nur der Mann, den die Frau anredet, die Schwangerschaft. Erst im A'-Teil kann der "Mithörer" das erkennen.

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11. Ich analysiere bei der Vertonung des achten Gedichtes ihre sprachliche und musikalische Momente zusammen, weil die beide Momente in der rezitativischen Melodik, die die Singstimme des betreffenden Liedes charakterisiert, untrennbar sind.

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12. Genauer gesagt, ist die Tonart zwischen T.15 und T.19 doppeldeutig. Zuerst erscheint die Funktion des g-moll Dreiklangs in der Quartsextumstellung (d+g+b) und des verminderten Septakkords (e+g+b+cis) je als der Dominantquartsextakkord und die Doppeldominante auf g-moll. Aber die beide Akkorde werden je zur Subdominante und zur Dominante auf d-moll umgedeutet und führen zur Kadenz auf d-moll (T.18-19).

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13. Mit anderen Worten hebt sich der Quintabstieg, der als die Inversion des Quartaufstiegmotivs den Tod des Mannes symbolisiert, durch sein weites Intervall von der rezitativischen Melodik ab.

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14. Clemens Kühn vergleicht dem Nachspiel dieses Liedes mit dem "lyrischen Klavierstück": "Ein zarter Tausch der Dominanten (der Grundton der Dominante A-dur wird Terz der Zwischendominante F-dur) entrückt zur Tonart und Welt des Anfangsliedes, das dem 'Rezitativ' nachgestellt ist wie sonst eine 'Arie', - doch die Worte fehlen: stummes Vorüberziehen eines Beginns, der auch jetzt noch, im Inneren gegenwärtig, das Dasein beseelt. Das Lied ist, sprachlos sprechende Musik, zum Lyrischen Klavierstück geworden" (Kühn 1987: S.168f.).

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15. Daß der Anfangslied am Ende wiederkehrt, deutet an, daß nicht nur das erste Lied sondern auch der ganze Zyklus in der inneren Welt der Frau endlos wiederholt werden soll, obwohl der Zyklus als Klang in der Realität mit dem Rückkehr des Anfangsliedes endet.

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Quellen

Chamisso, Adelbert von: Gedichte und Versgeschichten, Peter von Matt (hrsg.), Stuttgart, 1971.

Schumann, Robert: Frauenliebe und -Leben op.42: Urtextausgabe, Hans Joachim Köhler (hrsg.), Leipzig, 1987.


Literatur

Dahlhaus, Carl: "Zur Problematik der musikalischen Gattungen im 19. Jahrhundert", Wluf Arlt/Ernst Lichtenhahn/Hans Oesch (hrsg.), Gattungen der Musik in Einzeldarstellungen: Gedenkschrift Leo Schrade, Bern/München, 1973, S.840-895.

- Ludwig van Beethoven und seine Zeit, Laaber, 1987.

Fischer-Dieskau, Dietrich: Robert Schumann: das Vokalwerk, München/Kassel/Basel/London, 1985.

Kroner, Peter A.: "Adelbert von Chamisso", Benno von Wiese (hrsg.), Deutsche Dichter der Romantik: ihr Leben und Werk, Berlin, 1983, S.439-458.

Kühn, Clemens: Formenlehre der Musik, München/Kassel/ Basel/London, 1987.

Nauhaus, Gerd (hrsg.): Haushaltbücher Teil I 1837-1847 (Robert Schumann: Tagebücher Band 3), Leipzig, 1982.

Schlager, Kahlheinz: "Erstarrte Idylle: Schumanns Eichendorff-Verständnis im Lied op.39/VII (Auf einer Burg)", Archiv für Musikwissenschaft 33, 1976, S.119-132.

Wiora, Walter: Das deutsche Lied: zur Geschichte und Ästhetik einer musikalischen Gattung, Wolfenbüttel/Zürich,


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